Montag, 17. August 2015

Mal wieder der Flohmarkt:Portraits als Fragmente - Flea marktet and thrift store stories: Fragments and fractures

Leipzigerinnen um die Jahrhundertwende - Fotografie, Drucktechniken, Papierstickerei (2014)

Die Ausstellung "Earth Stories" tourt weiter:

The Kennedy Museum of Art in Athens, Ohio (bis 6. September)

und dann

San Jose Quilt & Textile Museum in San Jose, CA  (ab 6. November)

Meine Arbeit zu den "Wächterhäusern" in Leipzig ist als eine der wenigen europäischen Arbeiten mit dabei.

Wächterhaus Projekt: Il y a toujours des idées pour un peu de soleil (2012) mit Original Materialien von den Wächterhaus Bannern


Die Situation hat sich mittlerweile ziemlich geändert, Häuser stehen nicht mehr leer und Leipzig nähert sich der Situation anderer Städte in Deutschland an. Aber als ich die Skizzen und das Portfolio für das Werk eingereicht hatte, waren die Stadtteile noch anders, Häuser verfielen und der Eindruck von leeren dunklen Fenstern in der Nacht war in manchen Stadtteilen massiv, besonders, wenn man an Häusern vorbei kam, bei denen dann ein einziges von ca. 20 Fenstern beleuchtet war. 
Das Earth Stories Konzept thematisiert "Weltverbesserungs-Projekte". Ich dachte, naturbezogene Themen machen Viele und es liegt nahe. Warum nicht mal die Stadt als Lebensraum aufgreifen und Projekte zu betrachten, die sich mit städtischer Entwicklung befassen? Und auch hier wieder ein komplexes Thema. Die Häuser zu erhalten sind eins. Aber dass Leute mit guten Ideen oft keinen Platz finden, an dem sie arbeiten können, war der andere interessante Aspekt daran und drittens bringt das ja auch wieder Leben in Stadtteile, in denen es eher trist zugeht.  
In Leipzig herrschte kein Mangel an Raum.

Im Zuge der Projektentwicklung sammelte ich auch einige Frauenportraits aus der Jahrhundertwende vom Flohmarkt. Ich suchte systematisch nach Leipziger Fotografen und fand eine Menge. Wonach wählt man Fotos aus? Diese steifen Portraits lassen wenig von der Persönlichkeit durchblitzen, aber manche Frauenportraits hatten etwas Interessanteres als andere. Zeigt sich "Selbstbewußtsein" darin? In der Haltung? Dem Ausdruck? Gesichtszügen? - über ihr Leben bleibt wenig: wir können nur fantasieren. Inspiriert von den Jahrhundertwendehäusern war der Schritt zu den Frauenportraits nicht weit. Frauenbiografien, die irgendwie als Foto noch existieren und dann doch auch wieder nicht.
Landen diese Fotos mal auf dem Flohmarkt, bleibt nichts anderes als die Neugier. Recherche bringt oft nicht weit. Es bleibt also nur, diese Fragmente mit eigenen Ideen oder mit Fundstücken zu ergänzen, die zwar einen Zeitbezug haben, aber nicht der echten Geschichte entsprechen. Ein wenig wie beim Roman: Geschichtenschreiben, man entwirft eine Figur und deren Kontext, ohne echten Bezug zur Realität, kombiniert andere Ideen damit und macht daraus ein Konstrukt einer Biographie, die so hätte sein können... obwohl das Foto ihre Existenz zeigt, bleibt ja nicht mehr anderes übrig. Ob diese namenlosen Frauen in den heutigen Wächterhäusern mal gelebt haben, ist nicht von Bedeutung. Aber es könnte sein...

Sehr erstaunt war ich, als ich bei einer Ausstellung darauf angesprochen wurde, ob ich hier Werbung für Rosa Luxemburg und eine polititsche Richtung machte... (???). Welche Assoziationen die Besucher von Ausstellungen angesichts unserer Werke haben, können wir nicht beeinflussen. Aber interessant war es schon, wie sehr diese aufgegebenen und ausrangierten namenlosen Jahrhundertwendeportraits hier in der Gegend mit einer ganz bestimmten politischen Haltung verbunden sind. Ikonographie fällt mir dazu ein...vielleicht landen sie deshalb hierzulande auf dem Flohmarkt. 

Flohmarkt - Kunstausstellung für Geübte



Jahrhundertwendeportraits - Siebdruck und andere Drucktechniken, Patchwork aus Stoff und Papier, Maschinenstickerei (2014) - Privatbesitz


The SAQA Earth Stories Project is still on tour, see the schedule above. While working for this project I was interested in the development of deconstruction and cultural projects to enhance and develop the situation of abandoned quarters in towns. Now, Leipzig became close to other towns with less differences. My interest in flea markets is still there, flea markets and thrift stores as places of past, history, stories and of human and social subjects: collections, abandoned stuff, but also emotions like passion, greed, etc. 
I searched for women portraits from Leipzig of the turn of the century. What about portraits? Can we get a small peak in the story and personality of someone? What about faces or attitudes? photos from flea market are often nameless. We need to work with fragments, fiction and projection. I made a series of interesting women portraits of that time, combined with old letters, textile related materials like laces and ancient craft magazines and my ideas about strong personalities. Surfaces of the past - projection from our contemporary view...

Freitag, 14. August 2015

Zurück im Atelier - Back again in the studio

Die Kunstsommerschirme werden geschlossen. Das Leuchten bleibt.

Es hat mich nicht mehr gehalten, ich musste heute unbedingt einen Ateliertag einlegen, trotz Hitze und noch einigen bürokratischen Angelegenheiten.

Wenn man eine ganze Woche (mit großer Freude!) Teilnehmer-Werke begleitet, macht sich bei mir spätestens nach Abschluss Unruhe breit. Man sieht viel, nimmt auf, hinterfragt, erlebt die Prozesse mit und hat natürlich eigene Ideen im Kopf. Zurück in Leipzig gab es natürlich erst mal Einiges zu erledigen, Artikel beenden, Fotos verschicken, die Ausstellungsplanung von 2016 ist in vollem Gange. Und klar, es ist Sommer. Hitze im Atelier

Vormittag im Atelier - desk view 
Der Sommer ist für mich der eigentliche Jahreswechsel. Nach zweieinhalb Jahren sieht es nun so aus, als ob das Leben wieder Kontinuität bekommt. Heute im Atelier begann ich all die roten Fäden aufzulesen, die liegenbleiben mussten oder fast verloren gingen. Gar nicht so leicht sie zu finden. Alte Skizzenbücher und Notizen und Siebdrucke und Stickereien, wartende weiße Baumwollstoffe und viel Leinen vom Flohmarkt. Manche roten Garne kann ich ad acta legen, zu viel passiert, nicht mehr passend, zu oberflächlich. Manche Farbe zu laut, zu präsent. Dafür neue Themen und vorsichtige ungläubige Annäherung an die kontinuierlich freie Zeit vor mir.

Hot summer in the studio - after a two years long period of interruptions I will be able to work with more continuity and time. Wonderful and incredible. Feels strange. I started to pull out old projects - probably starting points for new ones. But some of the fabrics and colours are too bright and to loud now. I need to find the red threads but also to get into progress. 


Detail aus "Immer nie genug" - Sightlines Projekt - zurück aus den USA

Leipzigerinnen um die Jahrhundertwende - Detail der heutigen Arbeit


Mittwoch, 12. August 2015

Kuntsommer 2: Deconstruction, Schichten und der Zufall - Deconstruction, Layers, Accidents


Spielwiese und Forschungslabor
Kunstsommerwerkstatt

Textiles Material fragmentiert, geschichtet

In den nächsten Tagen: Drucktechniken kommen hinzu. Schichten und Methoden des "Deconstruction" beinhalten schon mehr Zufall. Fragmentarisches wird weiter verändert. Bildelemente gefallen, erstaunen oder enttäuschen. Die Farbe ist schwer zu bewältigen, exakte Farbtöne zu erreichen eine schwierige Sache mit diesem Material. Komplex arbeitet und wirkt sich die Farbe ein, sie braucht mehr als einen Faktor, um zu gelingen - dafür belohnt sie mit Haltbarkeit und Leuchtkraft über Jahre. Herausforderungen der mittleren Tage in der Textilkunstwerkstatt.
 
 Zufallsverfahren verhindern zu viel Kontrolle. Leben spielt sich so ab und es bietet Möglichkeiten - oder zwingt sogar- zu reagieren.

Die Diskussion wird wichtig, das Thema Berührung und Material steht im Raum. Wir bewegen es hin und her und es wird klar, wie sehr die Haptik und die Bewegung der Hände den Textilkünstlerinnen wichtig ist.

Schwebezustand
Ab wann ist ein Stoff zu verwerfen? Wie lange arbeitet man an einem ungeliebten Stück?
Hätte man nicht gleich neu beginnen sollen?
Versuche Hin und Her
Am Schluß eine Installation mit Müllsack zur Präsentation in der Kunstnacht. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den anderen Gruppen kamen und boten auch Material zum hinein tun an - manche Prozesse sind unabhängig vom Genre.

Abstrakte Sprache Textil

Mit den Augen meinen wir zu wissen, wie die geschaffenen Oberflächen sich anfühlen (sollten). Manchmal ist es eine materielle Illusion. Man möchte überprüfen, deshalb die Hand zu Hilfe nehmen. Mehr Sinne als nur der eine wollen berührt werden.
Manchen ist das Textile zu nahe getreten, sie betrachten lieber von Weitem, zu viel Haptik gibt es auch. 
Den Fokus auf Material, Oberflächen und Verbindungen zu legen ist Abstraktion. Sprachverwirrungen und Vorlieben werden deutlich. Staunen über Materialkombinationen wird uns entgegengebracht. In der Kunstnacht werden im Raum Fragmente der Woche und Bandbreite gezeigt. Nette Besucher und Besucherinnen, viele Gespräche, Fragen und offene Augen.





Dienstag, 11. August 2015

Meisterklasse Textilkunst: Kunstsommer in Irsee - Summer academy

Kunstsommer Irsee: Meisterklasse Textil

Zurück braucht lange

Ich bin zurück vom Kunstsommer in Irsee und irgendwie doch auch nicht. 

Es waren sehr dichte, intensive Tage. Zu berichten gäbe es Vieles. 
Viel auch das, was mir durch den Kopf geht.
Deshalb, in Häppchen, immer mal wieder ein paar Gedanken dazu.

Der Kunstsommer ist eine ganz besondere Veranstaltung. Die interdisziplinäre Woche lässt "Kunst leben" - wie das Motto der Schwabenakademie Irsee heißt. Nebst meiner ureigensten Disziplin gab es Poesie, Malerei, Zeichnung, Dramatik, Fotografie, Tanz, Musik... was will man noch mehr? 

Viele Sichtweisen
Was konkret bedeutete, dass in der Meisterklasse mehr passierte, als in den "normalen" Fortbildungen. Man kann über den Tellerrand gucken, die Komfortzonen verlassen (zumindest hat man die Gelegenheit dazu), und  - angeregt durch die Meisterinnen und Meister der Klassen auf hohem Niveau und mit Rückmeldung arbeiten.  
6 Tage lang arbeiteten meine 12 Teilnehmerinnen mit mir zusammen, die räumlichen und organisatorischen Bedingungen traumhaft, die Hitze erträglich im Keller der Druckwerkstatt.

Das Thema:
Fragmente
Faszination des Unvollständigen - Eine Ahnung vom Ganzen
liegt ja angesichts meiner eigenen Arbeiten nahe. 
Am ersten Tag: Annäherung ans Thema. 
Interessant, was die Teilnehmerinnen unter Fragmenten verstanden und an Objekten, Fundstücken und Erinnerungen mitbrachten. Um manche Objekte herum gab es schon Erinnerungen oder wunderbare Geschichten, wie zB. das vom Auto überfahrene Handy und damit verbunden das Nachdenken über unsere Art der Kommunikation. Oder die aufgelesenen zerfledderten Baustellenreste mit ihrer übersehenen eigenen Ästhetik. Andere Objekte verrieten nichts über ihre Herkunft und liessen dem bildhaften erzählerischen Talent freien Lauf, wohin schwimmt ein Schwemmholz, oder was macht eine Spiegelscherbe mit Farbe?. Wieder andere hatten politische oder historische Bezüge wie zB. aufgelesene Papiere aus Tibet oder Urkunden vom Flohmarkt, die nur Bruchstücke von Biografien enthüllten.
Während der ersten beiden Tage entwickelten wir Assoziationen, zeichnerisch, textil, oberflächenspezifisch. Es zieht sich für mich in vielen Fortbildungen durch wie ein roter Faden: nicht allen Textilfrauen liegt die langsame Annäherung - manch eine Teilnehmerin würde gerne gleich loslegen und assoziativ-spontan sofort die erste Idee in Textil umsetzen. Ich halte intuitives Arbeiten schon für wichtig, aber wenn es das alleinige Zugangsmerkmal ist, wird es oft ohne Fokus oder Verdichtung klischeehaft umgesetzt. Deshalb halte ich viel von textilem Brainstorming, um den interessantesten Ideen erstmal eine Chance zum Kommen zu geben. Verwerfen können wir immer...So spiele ich zu Beginn gerne das enfant terrible und provoziere zu mehr Ideen. "Ich bremse", frage ab und zu nach mehr als einer konträren Position und ermutige zum Herumspielen und Experimentieren in kleinem Format. Es ist das tiefere "Durchdringen" der Thematik. Betrachten von allen Seiten ergibt viele Perspektiven. Wir haben immer die Chance zur Serie. Die Gefahr, alles in eins zu packen verringert sich.
Natürlich fragt man sich im Laufe der Jahre, woher dies gerade in der Textilkunst kommt. Wir haben viel darüber gesprochen und ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass die klassischen Textil-Fortbildungen vor allem die handwerklichen Techniken (Wie bekomme ich Fotos auf den Stoff?) und deren Weiterentwicklung in den Vordergrund stellen, nicht aber die künstlerischen Prozesse reflektieren. Im Meisterkurs waren die technischen Kenntnisse exzellent, also kein Problem, Ideen sofort technisch umzusetzen.
Es war mir zu Beginn der Woche nicht klar, wie sehr die Themenwahl und das textile Arbeiten ein zweites latent vorhandenes Thema mit sich brachte: das Thema ZEIT - Geschwindigkeit - Beschleunigung - Verlangsamung usw. 
Für manche Teilnehmerin war es fast nicht auszuhalten, im Fragmentarischen (zunächst) zu verharren und eben diese Fragmente verlangsamt auf ihr Potential zu prüfen und damit zu spielen.
Teile "sollen" fertig werden. Sonst macht sich Unruhe breit.

Eine Meisterklasse ist eine unglaublich kostbare Angelegenheit, es war genügend Zeit neben der künstlerischen Praxis auch theoretisch (fast schon phänomenologisch) über das Textile zu philosophieren (zB. das Phänomen, daß unsere Werke so häufig einen "Anfass-Impuls" beinhalten) - das ist eher selten.Und ohne es zu planen, brachte der zweite Tag dies mit sich.
Doch dazu irgendwann mehr.